AMERIKANISCHE BEAT-LITERATUR


Zwischen Mythos und Realität - einige aktuelle Statements

Aus: Olaf Selg: Essay, Erzählung, Roman und Hörspiel: Prosaformen bei Rolf Dieter Brinkmann.
Übernahme von Textpassagen nur nach Absprache und mit Quellenangabe!


Die in allen poetologischen Texten wiederkehrende Auseinandersetzung Brinkmanns mit der amerikanischen Beat- und Pop-Literatur läßt u.a. eine Frage entstehen, die hier zwar nicht hinreichend beantwortet, aber immerhin gestellt werden kann: ob er die Entwicklung in Amerika den Tatsachen entsprechend eingeschätzt hat.

"Brinkmanns Orientierungen sollten indessen nicht mit seinen Intentionen identifiziert werden. Von größerem Interesse als die Frage, ob Brinkmann die `neue amerikanische Szene´ richtig eingeschätzt hat, sind die Anregungen und Auswirkungen auf Brinkmanns eigene Arbeit."1

Dem ist nur dann zuzustimmen, wenn nicht der Verdacht naheläge, daß Brinkmanns Umgang mit der amerikanischen Literatur, von der er, wie die Herausgabe der Textsammlungen "Acid und "Silverscreen" und weitere Übersetzungsarbeiten zeigen, eine gute Kenntnis hatte, auch `strategisch´ bestimmt war in der oberflächlichen Polarisation Europa-USA.

"Die unverblümte Sprache der Beatniks beeinflußte auch zahlreiche Autoren in der Bundesrepublik, die allerdings kaum den wenig rühmlichen Bereich des Epigonentums verließen. So beließen es Rolf Dieter Brinkmann und Ralf Rainer Rygulla später auch dabei, die amerikanischen Autoren zu übersetzen, und versuchten kaum, mit den Beatnik-Giganten Ginsberg oder Kerouac ihre Kräfte zu messen."2

Richtig ist hier jedenfalls, daß die späteren erzählerischen Prosatexte Brinkmanns kaum jene Lässigkeit etwa von Jack Kerouacs "On the Road" verkörpern. Auch in den poetologischen Texten übernimmt Brinkmann für gut befundene Arbeitsweisen in einer eigenwilligen und komplexen Mischung, die immer die bewußte und explizit verbalisierte Auseinandersetzung mit abgelehnten "literarischen Mustern" (und damit eine Rechtfertigung für ihr Anderssein) sucht, und nicht, wie etwa Jack Kerouacs poetologisches Nachwort in "On the Road", "Wie schreibe ich moderne Prosa?", vorrangig so wirkt, als wäre sie aus einer augenblicklichen Laune heraus entstanden.

Jack Kerouac (Foto: Carolyn Cassady)

Kerouac beispielsweise erscheint im Zusammenhang mit Brinkmanns Prosa primär als ein Katalysator für den Drang nach Bewegung und Veränderung, vielleicht läßt sich auch weitere Übereinstimmung hinsichtlich des verwendeten "Materials" feststellen, aber all dies erreicht bei Brinkmann nicht jene oberflächliche Dynamik der Geschehnisse wie im Werk Kerouacs.

Und trotz der gelegentlichen Betonung von Rauschzuständen und der Bedeutung von Drogen ist es in gleicher Weise fraglich, ob Brinkmann hier mehr als ein Klischee der 60er und 70er Jahre bedient hat, im Vergleich zu den wahrscheinlich von Timothy Leary und Herbert Huncke ausgehenden Drogenerfahrungen z.B. von Kerouac, Burroughs und Ginsberg. Huncke, der in vielen Büchern der dreiamerikanischen Beat-Autoren die Hauptfigur war, deren Bücher also wesentlich weniger autobiografisch sind als damals vermutet, sieht die literarischen, "erlebnishungrigen Bürgerkinder" 3 jedenfalls distanziert:

"Ach, das waren intellektuelle Studenten, die in einer ganz anderen Welt als ich groß geworden waren. Sie waren von der Unterwelt fasziniert wie kleine Jungs vom Abenteuer-Spielplatz." 4

Indessen relativiert W.S.Burroughs selbst seine Betonung der Rauscherfahrungen, auf die auch Brinkmann zumindest verbal gerne zurückgegriffen hat (vgl. "Angriff aufs Monopol"): Neben der Beobachtung "Zwar wird man kein Schriftsteller, bloß weil man Marihuana raucht, aber viele Schreiber haben ihre besten Einfälle, nachdem sie was geraucht hatten, und ich gehöre zu ihnen" steht die Feststellung: "Inzwischen stellte sich eine Desillusionierung in bezug auf die Wirkung von Drogen ein, in bezug auf die Möglichkeit, durch sie die endgültige Weisheit oder Erleuchtung zu erreichen", und Burroughs neigt der Feststellung zu, daß Drogen "[...] einem einen falschen Himmel vermitteln, daß sie eine Falle sind". 5

Carolyn Cassady, die Frau von Neal Cassady6, die mit Kerouac gut bekannt war, weist in ihren Memoiren ("Off the Road") nicht nur auf das rücksichtslose Macho-Gehabe dieser beiden Beat-Protagonisten hin, sondern rückt gleichfalls den Mythos von "On the Road" zurecht:

"`On the Road´ wurde als Autobiographie verstanden, obwohl das Werk zum Teil völlig fiktiv war. Jack hatte sich eine zweite Wirklichkeit geschaffen, weil er mit der ersten nicht zurecht kam." 7

Dies tut natürlich der Bedeutung des Buches keinen Abbruch, doch es zeigt die Relativität der vorbildlichen amerikanischen Literatur und die Möglichkeit, daß Brinkmann auch einem neuen amerikanischen Mythos erlegen war, den er in seinem Konzept der alltagsnahen Literatur für sich nutzen konnte. Erinnert man sich in diesem Zusammenhang an die Übereinstimmung Brinkmanns mit der Alltagspoetologie Frank O'Haras, so ist diese gleichermaßen vorsichtig zu bewerten, sagt doch Burroughs über Kerouac:

"`Er war in erster Linie Schriftsteller und dann erst Person. Alles, was er als Person tat, war irgendwie gespielt [...]´". 8

W.S.Burroughs (Foto: Michael Montfort)

Vergleicht man dies mit den konträren Ausführungen über O'Hara, der nach Brinkmanns Ansicht der Umwelt "[...] nicht primär als Verfasser von Gedichten, vielmehr als Beteiligter, Betroffener, Akteur [...]"9 begegnet, oder mit dem Satz: "Der Beruf `Dichter´ hat für die neuen Schriftsteller Amerikas seit den Autoren der Beat-Generation kaum noch Attraktivität, da die gesellschaftliche Abrichtung, die darin enthalten ist, mehr oder weniger bewußt von den einzelnen Autoren durchschaut worden ist"10, so läßt sich ermessen, wie fraglich es ist, Ausführungen über die verschiedenen Autoren zu verallgemeinern bzw. eine einheitliche Beat-Generation zu konstruieren. 11

Gleichwohl sind Burroughs Methoden wie cut-up und fold-in stilprägend gerade für Brinkmanns spätere Prosa. Burroughs selber legt die Entstehung und Vorgehensweise dieser literarischen Techniken ausführlich in seinem Text "Die Zukunft des Romans" dar. Im Manuskript einer Rede von 1964 heißt es:

"Wenn das Schreiben noch eine Zukunft haben soll, muß es mindestens einmal die unmittelbare Vergangenheit aufarbeiten und sich mit Techniken vertraut machen, wie sie Malerei, Musik & Film schon seit geraumer Zeit anwenden [...]; d.h. wir sehen Ereignisse aus verschiedenen Blickwinkeln und werden uns bewußt, daß sie, so gesehen, buchstäblich nicht mehr die selben Ereignisse sind, & daß die herkömmlichen Auffassungen von Zeit und Wirklichkeit nicht mehr zutreffen - Brion Gysin, ein in Paris lebender amerikanischer Maler, hat die Cut-up Methode entwickelt [...], die dem Schriftsteller erlaubt, nach dem Collage-prinzip [sic!] zu arbeiten, wie es in der Malerei seit 50 Jahren gang & gäbe ist - Textseiten werden z.B. in 4 Teile zerschnitten, die Teile werden neu gruppiert, & es ergeben sich neue Anordnungen von Wort&Bild-Komplexen - Beim Schreiben meiner beiden letzten Bücher [...] habe ich eine Variation der cut-up-Methode verwendet die ich fold-in-Methode nenne: - Eine Textseite, von mir selbst oder von einem anderen, wird in der Mitte der Länge nach gefaltet und auf eine andere Seite Text gelegt - die beiden Texthälften werden ineinander-`gefaltet´, d.h. der neue Text entsteht dadurch, daß man halb über die eine Texthälfte & halb über die andere liest - Die fold-in-Methode bereichert die Textherstellung um die Möglichkeit der Rückblende, wie sie im Film benutzt wird, & gestattet es dem Schriftsteller, sich auf seiner Zeitspur vor & zurück zu bewegen - Zum Beispiel: ich nehme Seite 1 und falte sie in Seite 100; den daraus resultierenden Text füge ich als Seite 10 ein - Beim Lesen von Seite 10 blendet der Leser also zeitlich vor zur Seite 100 und zurück zur Seite 1 - Das déjà-vu-Phänomen läßt sich so nach Wunsch & Maß erzeugen (- dieser Effekt begegnet einem natürlich in der Musik, wo man durch Reprisen & Variationen musikalischer Themen ständig auf der Zeitspur vor & zurück bewegt wird) - Bei der Anwendung der fold-in-Methode redigiere, verwerfe & ordne ich Ausgangsmaterial wie bei jeder anderen Kompositionsmethode [...]."12

Brinkmann schreibt hierzu:

"Die von Burroughs in `Nova-Express´ angewendete Schreibmethode, die er `fold-in´ nennt, dient ihm dazu, das zwanghafte Muster des bloßen Reagierens auf Wörter zu durchbrechen. Die bekannte Art des Assoziierens ist ersetzt worden durch ein Erzählen in Wortblöcken und Vorstellungsfeldern. Die Wortblöcke und Vorstellungsfelder führen hinein in den Bereich des Traums."13

 

1Gerhard Lampe S. 106. Zur Amerikarezeption in Deutschland vgl. auch Jörgen Schäfer, insbes. S. 86-142.

2 W. Streletz und J. Wintjes: Zur literarischen Subkultur in Deutschland. In: Sounds 10/74, S. 42.

3Alfred Hackensberger: Herbert Huncke - Der König des Times Square. In: Rolling Stone 3/1995, S. 71. Ob Huncke tatsächlich in einem Telefongespräch mit Burroughs durch sein Aufstöhnen "`Oh Gott, Mann, ich bin so fertig, so müde, so kaputt, ich bin einfach BEAT´" (S. 71, Herv. im Text) den Namen für diese Literaturbewegung kreiert hat, bleibt hier offen.

4 Ebd., S. 72.

5 Jürgen Ploog: "Hilflosigkeit hat sich breit gemacht." Interview mit W. S. Burroughs. In: Sounds 4/78, alles S. 60.

6 Neal Cassady stand in Kerouacs Roman "ON the Road" für die Hauptfigur Pate.

7 Jürgen Treipel: Off The Road. In: Rolling Stone 10/95, S. 94.

8 Zitiert in: Jörg Fauser: Jack Kerouac. Die Legende des Duluoz. In: Sounds 12/76, S. 44.

9 "Die Lyrik Frank O´Haras", S. 208.

10 "Die Lyrik..." S. 218 f.

11 Vgl. auch Karsten Herrmann S. 209-214 und 225-233.

12 In: Mammut. März Texte 1&2 1969-1984. Hg. von Jörg Schröder, S. 145 f, Herv. im Text. Zum cut-up vgl. auch Barry Miles: William S. Burroughs. Eine Biographie. Hamburg 1994, S. 147-168.

13 "Spiritual Addiction" S. 204. In "Rom, Blicke" stellt Brinkmann fest: "Cut up! - Denn die Blicke machen ja ständig cut ups! - Also hat der Burroughs gar nichts Neues erfunden." (S. 93)


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©  Olaf Selg
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