AKTUELLES


Kurzkritik zu:

Rolf Dieter Brinkmann -

Blicke ostwärts - westwärts

Cover Blicke

Ganz klar: Wer sich mit Brinkmann beschäftigt, ganz gleich ob aus Gegnerschaft zu seinem Leben und Schreiben, aus dem Glauben an Geistesverwandtschaft heraus und/oder aus literaturwissenschaftlichem Interesse - kaufen oder kopieren sollte man sich den Sammelband. Sein Titel "Blicke ostwärts - westwärts" deutet schon an, dass hier verschiedene Sichtweisen auf Brinkmann zusammengetragen wurden, allesamt Ergebnisse bzw. Beiträge des "1. Internationalen Symposions zu Leben und Werk Rolf Dieter Brinkmanns", das im Jahr 2000 anlässlich Brinkmanns 60. Geburts- und 25. Todestages in Vechta veranstaltet wurde.

Dass in einem Sammelband nicht alle Texte auf gleicher Höhe sind, dass nicht in jedem Beitrag für jeden Rezipienten etwas Neues steht, dass die Vielstimmigkeit Qualitätsschwankungen mit sich bringt - Binsenweisheit. Die vier Themengruppen "Die grüne Zwangsjacke / Vechta als Ort und Fiktion", "Das Fenster nach Süden / Fremderfahrungen", "Transatlantische Vermittlungen / Theorie und Praxis des Pop" und "Schriftzeichen - Bilderschrift / Sprachkritik und Literaturbegriff" lassen sich dabei je nach Interesse unabhängig voneinander und lesen.

Auf keine Fall sollte man aber vorab den einleitenden Aufsatz von Gert Mattenklott "Rolf Dieter Brinkmann - Versuch eines Porträts" auslassen. Nun gut, den "Versuch" im Titel hätte es nicht gebraucht, ist doch die gesamte Literaturwissenschaft nichts anderes, aber gerade im Zusammenhang mit Brinkmann baut man eben gerne möglicher Kritik vor. Mit dem Beitrag von Mattenklott bewegt man sich gleich auf der Höhe der Möglichkeiten mit seinem auch in seinen Vorlesungen Langeweile und Verdruss vertreibenden Vermögen, auf der Spurensuche in der literarischen Welt Wissenschaftliches und Essayistisches erhellend zu vereinen. Natürlich darf gerade die folgenden z.T. seminaristischen Ansätze nicht an ihm messen, das wiederum wäre vermessen.

Ich empfehle, auch die am Ende des Bandes abgedruckte Transkription eines Live-Chats vorweg zu lesen, der zwischen Studenten der Hochschule Vechta und der University of Georgia stattfand. Leider ist der Text mit störenden technischen Details durchsetzt, was wohl dem Brinkmannschen Authentizitätsgestus geschuldet ist. Verschiedene Teilnehmer setzen sich hier über das Gedicht "Trauer auf dem Wäsche draht im Januar" auseinander. Interpretationsansätze, gedankliche Sackgassen, plötzliche Ideen und der ebenso plötzliche Ausstieg einzelner Teilnehmer aus dem Chat - die Realität ruft -, das ergibt ein sehr lebendiges Bild, und man könnte sich an die eigene Auseinandersetzung mit den vielen inneren Stimmen erinnert fühlen, etwa wenn man selbst in der Versuchung ist, immer wieder auszusteigen aus dem Denkprozess.

Essayistisches, Wissenschaftliches, seminaristische Werkstattberichte - in diesem Spektrum bewegt sich der lesenswerte Sammelband, den Gudrun Schulz und Martin Kagel im Eiswasser Verlag herausgegeben haben.

 

Gudrun Schulz und Martin Kagel (Hg.): Rolf Dieter Brinkmann: Blicke ostwärts - westwärts.
Beiträge des 1. Internationalen Symposions zu Leben und Werk Rolf Dieter Brinkmanns. (Redaktion: Hans Lösener)
Eiswasser Verlag, 2001, 354 Seiten, 54 DM.



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